Die Göttinger Georg-Christoph-Lichtenberg-Gesamtschule
und sechs weitere Schulen erhalten den Deutschen Schulpreis


Am Freitag vor Pfingsten wurde der Deutsche Schulpreis zum fünften Mal vergeben. Als der Bundespräsident den Hauptpreis, der mit 100.000 Euro dotiert ist, in der St. Elisabeth Kirche in Berlin der Göttinger Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule, einer Gesamtschule, überreichte, da hatte für einen Augenblick der Widersinn deutscher Bildungspolitik sein Symbol. Denn als Christian Wulff in Hannover Ministerpräsident war, hatte die Landesregierung diese Schule ganz kurz gehalten.

Im Schulgesetz wurden Neugründungen von Gesamtschulen sogar verboten. Aber Politiker können ja, wie man derzeit sieht, ihre Meinung in atemberaubenden Sprüngen ändern. Und in welche Richtung eine Bildungswende zu gehen hat, das zeigen erneut die sieben Schulen, die in diesem Jahr ausgezeichnet wurden.

Seit 2006 erhalten jedes Jahr fünf Schulen, neuerdings sogar sieben, diese mit insgesamt 230.000 Euro dotierte Auszeichnung, ermöglicht von der Robert Bosch Stiftung und der von der Familie Bosch getragenen Heidehofstiftung. Fast 30 Schulen haben den Preis bisher erhalten. Da liegt die Befürchtung nahe, die auch den Sprecher der Jury, Michael Schratz, der in Innsbruck Erziehungswissenschaften lehrt, zwischenzeitlich quälte, dass der Deutsche Schulpreis nun bald die Sahne abgeschöpft haben könnte. Denn jede ausgezeichnete Schule steht ja nicht mehr zur Wahl. Aber es ist als würden mit jedem Preis mehr Kandidaten nachwachsen, als aus dem Rennen sind. Es gibt eine stille Revolution gewiss nicht in allen, aber in immer mehr Schulen.

Man kann überrascht werden. Freunde des Archivs der Zukunft und von Betrifft KINDER wissen ja, dass sich der Autor dieses Textes als eine Art Trüffelschwein versteht, das nach gelungenen Schulen sucht. Manchmal wird dieses Tier, das glaubt sich ganz gut auszukennen, überrascht. Da steht eine ältere Eiche. Sein Spürsinn glaubt erst nicht auf Neues zu stoßen. Und dann, was für ein Fest. Die Eiche heißt Georg-Christoph-Lichtenberg Gesamtschule und steht in Göttingen-Geismar.
Tischgruppe

Vor mehr als 30 Jahren habe ich eine Fernsehdokumentation über diese Schule gedreht. Sie wurde 1975 im Widerspruch zu den Lernfabriken gegründet, zu denen viele Gesamtschulen in kurzer Zeit geworden waren. Wolfgang Vogelsaenger, der heutige Schulleiter, erinnert sich an so eine Gesamtschule, in der er als Lehrer begann: 18 Parallelklassen. Die Göttinger Schule, zu der heute immerhin 1.500 Schüler gehen, wurde als Ensemble von überschaubaren kleinen Einheiten konzipiert. Sechs Klassen, die um einen Innenraum gebaut sind, werden von einem Lehrerteam betreut, das nur dort unterrichtet und den Stundenplan, seinen Tagesablauf, also sich selbst organisiert. Der Name dafür lautet »Team-Kleingruppen-Modell«.

Die kleinste Einheit sind Tischgruppen von jeweils sechs Schülern. Davon gab es früher vier und gibt es heute fünf pro Klasse. Sie sind so zusammengesetzt, dass nicht Freundinnen und Freunde zusammen kleben, sondern dass sich unterschiedliche Kinder gegenseitig herausfordern und helfen. Ein Jahr teilen sie sich den Tisch. Von Klasse 5 bis 10 soll jeder mit jedem zusammen gesessen haben. Davon profitieren die Schwächeren und mehr noch die Stärkeren. Die Tischgruppe ist die Seele der Schule. Jede Tischgruppe trifft sich mit den Eltern und Lehrern viermal im Jahr jeweils bei einem anderen Schüler zu Hause, der Gastgeber des Abends ist. So läuft das seit mehr als 30 Jahren. Eltern und Kinder, die sich bei dieser Schule bewerben – der Ansturm ist groß – müssen unterschreiben, dass sie bei diesem wichtigen Ritual dieser Schule mitmachen. Und auch für die Lehrer ist das eine Einstellungsbedingung. Manche Lehrer haben im Jahr 20 solcher Abende. Ich hörte damals und auch heute keinen darüber klagen. Sie genießen ja den Ertrag, eine freundliche, kooperative Atmosphäre. In diesen Gruppen, sagt der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther, liege das Geheimnis der Schule. Dort bilden sich Beziehungen und Haltungen. Die kann man nicht unterrichten. Man kann sie nur ermöglichen. Das sind Erfahrungen, die – das kann Hüther zeigen – im Frontalhirn gespeichert werden, wo sich die moralisch-ethische Reifung vollzieht. Und wenn Verantwortung, gegenseitige Hilfe und Lernfreude erfahren und zu einer Haltung werden, dann, so Hüther, ist das Bildung. Sie durchfärbt alles.


Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 06-7/11 lesen.




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