Über die Grundzüge der Ausbildungsreform und ein erstmals konsistentes neues Modell der Professionalisierung der pädagogischen Fachkräfte

Das erste Mal in der Geschichte des Landes verständigten sich die Bundesländer über einen Rahmenplan der künftigen Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern. Im Juni 2012 wurde er verabschiedet. Gegenwärtig arbeitet man an länder-spezifischen Konkretisierungen. In einem BK-Gespräch legt Prof. Dr. Wassilios Fthenakis die Grundzüge der Ausbildungsreform dar und beschreibt ein grundlegend neues Modell der Professionalisierung der pädagogischen Fachkräfte, das unter seiner Leitung erarbeitet wurde.


Seit wann steht die Reform der Ausbildung eigentlich auf der Agenda?

Schon vor drei Jahrzehnten wiesen wir darauf hin, dass es notwendig ist, die Ausbildung der Fachkräfte des Elementarbereichs zu reformieren. Es gibt kaum einen Kollegen, der sich nicht dazu äußerte. Mitte der 1990er Jahre wurde deutlich, dass die beruflichen Perspektiven und Entwicklungschancen der Fachkräfte verbessert werden müssen.1 Die OECD-Studie »Vergleichende Analyse der Ausbildungssysteme in 12 Ländern« schrieb uns das 2001 ins Stammbuch. Eine effektive Verbindung zwischen Aus-, Fort- und Weiterbildung mahnte Frau Oberhuemer 1999 ebenso an wie die stärkere Berücksichtigung der europäischen Dimension. 2002 wies ich auf die Notwendigkeit einer Neukonzeptualisierung der theoretischen Grundlagen und auf die Entwicklung eines konsistenten Ausbildungsmodells hin.

2001 einigte sich die Jugendministerkonferenz darauf, dass Bildung im frühesten Kindesalter beginnt. Doch nur qualifizierte Fachkräfte können die Bildungsprozesse der Kinder mitgestalten. Deshalb forderten die Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe und die Arbeitsgruppe »Forum Bildung« ausdrücklich, dass die Bildung und Qualifikation der Fachkräfte auf Entwicklung der Persönlichkeit, Teilhabe an der Gesellschaft und Beschäftigungsfähigkeit zielen soll. Diese drei Dimensionen finden sich auch in dem neuen Rahmenplan.



Auf welchen Grundlagen baut die Reform auf?
 
Die Argumentationslinien, die für eine Ausbildungsreform sprechen, kommen aus ganz verschiedenen Perspektiven. Eine Linie bilden neuere wissenschaftliche Erkenntnisse über Kinder, Kindheit und frühkindliche Bildung. Die Revision des konstruktivistischen Ansatzes von Piaget und neuere Erkenntnisse über die Lernkompetenz und Lernbereitschaft von Kleinstkindern ermutigten uns, das Kind als einen aktiven und kompetenten Ko-Konstrukteur seiner eigenen Bildung zu verstehen und Bildungsprozesse in der frühen Kindheit entsprechend  zu konzeptualisieren.

Die zweite Linie rührt aus der komplexen Vielfalt gesellschaftlicher Anforderungen an die berufliche Arbeit in Kindertageseinrichtungen. Die dritte Linie entspringt dem Anspruch auf berufliche Mobilität und Beschäftigung in vergleichbaren Tätigkeitsfeldern innerhalb der Europäischen Union. Eine weitere Linie ergeben die Konsequenzen aus den Bildungsplänen für die Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte, die uns zwingen, das Modell der Professionalisierung zu überdenken. Letztere sind schon deshalb interessant, weil sie eine theoretische und praktisch-pädagogische Realisierung einschließen, die in dieser Form bislang in der Ausbildung nicht präsent war.



Welche Anforderungen für die pädagogischen Fachkräfte ergeben sich daraus?

Die Fachkräfte müssen imstande sein, Bildungsprozesse vor dem Hintergrund gesellschaftlicher und familialer Wandlungen organisieren, mitgestalten, dokumentieren und reflektieren zu können. Sie haben Bildungspartnerschaften mit den Eltern und anderen Bildungsorten außerhalb der Bildungsinstitutionen zu stiften, müssen eigene Einstellungen, Bildungsziele und didaktisch-pädagogische Konzepte kontinuierlich und kritisch reflektieren.

Darüber hinaus müssen sie sich mit unterschiedlichen Ansätzen von Bildungsqualität, Evaluation und mit der Erhebung von Daten zum Entwicklungsstand des Kindes befassen, mit Fach- und Beratungsdiensten zusammenarbeiten, Kinder bei der Bewältigung von Übergängen unterstützen und mit der Grundschule kooperieren. Sie müssen sich mit unterschiedlichen Ansätzen der Qualitätsentwicklung auseinander setzen, um sie für die eigene Professionalisierung und für die Weiterentwicklung ihrer Einrichtungen nutzen zu können. Das Profil der Einrichtungen sollen sie mit den Beteiligten vor Ort weiterentwickeln und die Belange der Kinder in kommunalpolitischen Gremien wahrnehmen.

Setzt man diese Anforderungen mit den in der bisherigen Ausbildung identifizierten Defiziten ins Verhältnis, ergibt sich folgendes Bild: Es fehlt an hinreichender theoretischer Fundierung des Ausbildungskonzepts. Das betrifft auch alle in den letzten sechs, sieben Jahren an Fachhochschulen etablierten Ausbildungsgänge. Bei denen nach wie vor die Wissensvermittlung dominiert. Das Verhältnis von Theorie und Praxis ist unbefriedigend. Neue Technologien werden nicht systematisch und umfassend genutzt. Es gibt keine konsistente Konzeption, in die Aus-, Fort- und Weiterbildung systematisch eingebettet sind. Auch das WIFF-Konzept des DJI – zwar eine lobenswerte Initiative – weist keine Systematik auf.

Die Studierenden müssen auf die Implementation von Bildungsplänen und die Etablierung von Bildungspartnerschaften vorbereitet werden. Das sind sie bisher nicht. Sie benötigen elaborierte didaktische Ansätze zur Überwindung ihres primär erfahrungsgeleiteten Vorgehens. Fragen Sie, wie sie ihr Handeln begründen, bleibt die Antwort aus, weil sie nicht gelernt haben, fachlich zu begründen, warum sie dies oder das mit den Kindern tun.
Das erlebt man in der Praxis auch oft.

Ja, leider. Der nächste Punkt: Es gibt so gut wie keine systematische Verknüpfung von Ausbildung und Forschung. Und: Im Ausbildungssystem werden mehr Männer benötigt. Das bisherige System ist eher dazu angetan, sie auszuschließen.

Aus all dem ergibt sich: Die Ausbildung muss die aus der Reform des Bildungssystems und aus den neueren Bildungsplänen resultierenden Anforderungen an die Qualifizierung pädagogischer Fachkräfte stärker berücksichtigen. Ohne zusätzliche Qualifizierung sind sie nicht in der Lage, die Bildungspläne umzusetzen. Deshalb müssen wir die Ausbildung neu denken.



Die Ausbildungsreform vor dem Hintergrund sich verändernder Bildungssysteme

Die Veränderungen in den Bildungssystemen bringen ein neues Paradigma hervor: Nicht bloße Wissensvermittlung, sondern Stärkung kindlicher Entwicklung und kindlicher Kompetenzen – von Anfang an. Diesem neuen Paradigma muss die Ausbildung sich anpassen. Dass die künftigen Fachkräfte lernen, sich Wissen zu erschließen, und es rekapitulieren, das hilft nicht. Vielmehr muss die Ausbildung auf Kompetenzen fokussieren. Doch bevor das möglich wird, müssen wir uns darüber im Klaren sein, auf welchen theoretischen Grundlagen die Reform aufbauen soll.

Im Kindergarten dominierten seit den 1970er Jahren Selbstgestaltungsansätze, die besagen, dass das Kind sich seiner Umwelt als aktiver Konstrukteur zuwendet, sie exploriert und daraufhin in seinem Kopf ein Bild der äußeren Wirklichkeit entwickelt. Das ist dann die Bildung. Erziehung ist dann das, was die Fachkräfte dem Kind an Anregungen und Umgebungen bereitstellen, die ihm helfen sollen, den von ihm initiierten Prozess besser zu gestalten.

All das wirft Fragen auf, mit denen man sich auseinander setzen muss, wenn man die Ausbildung darauf aufbauen will und einem Paradigma folgt, das Bildung als einen primär intrapsychischen Vorgang begreift.. Tut man das, dann ist Selbstbildung der bevorzugte didaktische Ansatz: Das Kind bildet sich selbst. Es ist aktiver Konstrukteur seiner Entwicklung und Bildung. Bildungsziel ist die Entwicklung eines subjektiven Bildes von der äußeren Wirklichkeit.

Dieser Sicht zufolge hat die Fachkraft keinen direkten Einfluss auf den vom Kind moderierten Bildungsprozess. Das heißt: Die gesamte Verantwortung für die Organisation der Bildung bleibt dem Kind überlassen, denn das Bildungssystem hat bestenfalls einen indirekten Einfluss darauf, nämlich mittels der Gestaltung einer anregenden Umgebung. Die Rolle der Fachkraft, soweit überhaupt konzeptualisiert, beschränkt sich auf Beobachten, Begleiten und Dokumentieren, wenn man von Interaktionen der Unterstützung absieht, die jedoch eine untergeordnete Rolle spielen.


1    Ebert et al. 1994



Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/14 lesen.



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