»Wenn Erwachsene und Kinder sich in Neugierde versetzen können, wenn Begeisterung und Lust Eintritt in den Alltag finden, verschwinden Grenzen und der Schaffensdrang und die Kreativität machen sich selbstständig. Dieser Prozess ist für Pädagoginnen und Kinder gemeinsam lustvoll und befriedigend.«, meint Marion Tielemann und beschreibt Szenen aus dem Kunstprojekt Marc Chagall aus der KitaBü in Ammersbek.


Kindheit als Zugang

Es ist allgemein bekannt, dass Kinder am liebsten von Kindern lernen. Erwachsene geben zu schnell Antworten, nach denen die Kinder gar nicht gefragt ha-ben. Unsere gesammelten Erfahrungen schwingen in diesen Antworten mit. Es fällt uns schwer, uns herauszuhalten. Die Kinder kooperieren mit unseren Gefühlen und hören unseren Worten zu. Sie wollen ganzheitlich – mit Herz, Hand und Verstand – sich mit den Dingen und Menschen ihrer Welt auseinandersetzen. Voneinander lernen heißt u.a., sich auf einer Ebene zu begegnen.

Ist das in einem pädagogischen Raum möglich? Ich denke, dass es möglich ist, wenn wir uns innerlich auf Augenhöhe mit den Kindern begeben. Diese Grundregel habe ich auf unsere Kunstprojekte übertragen.

Meine Idee dazu ist einfach und klar: Die Kinder lernen den Künstler als gleichaltriges Kind kennen. Wir öffnen die Türen zur Kindheit, begegnen einander und bauen Brücken! Zwischen Kindern, Künstler und Päpos. (Päpos? So nenne ich die  pädagogischen Fachkräfte; Päpo ist ein Kunstname, der die Pädagogischen Powerfrauen oder Powermänner meint.)

Wie bauen wir nun Brücken? Die Pädagogin setzt sich zunächst mit der Kindheit des Künstlers auseinander und erinnert sich an ihre eigene Kindheit. Gibt es darin Ähnlichkeiten, Gefühle, Erinnerungen, Erlebnisse, Streiche, die eine Übertragung zur Kindheit des Künstlers zulassen? In Beziehung zu den Kindern erzählt sie dann von eigenen Erinnerungen. Später wird sie vom Künstler als Kind berichten und damit den Kindern ermöglichen, imaginäre Beziehungen zum Künstler aufzunehmen. Der Künstler als Kind wird der Freund der Kinder, ihr Bruder oder Spielkamerad. Die Kinder erleben seine Welt aus einem anderen Blickwinkel.

Diese Übertragung zwischen Kindern und dem Künstler gelingt jedoch nur, wenn die Pädagoginnen professionell über ihre Gefühlsebene zum »dritten Übertragungspartner« werden.
Ich habe in vielen Kunstprojekten erlebt, wie Kinder gern in ihre magische Welt hinein tauchen. Es fällt ihnen in diesen Situationen sehr leicht, sich auf diese imaginäre Beziehung einzulassen. »Ich weiß, dass er schon tot ist, aber er ist trotzdem mein Freund! Manchmal kommt er mich besuchen und wir machen Streiche«.



Die Rolle der Pädagogin

Die ersten Fragen der Pädagogin sind also: Welche Beziehung kann ich zu dem fünf- bis sechsjährigen Künstler entwickeln? Was hat mich aus seiner Kindheit berührt? Welche Erinnerungen an Kindsein sind in meinem Kopf versteckt? Habe ich ähnliche Kindheitserinnerungen?

Diese Prozesse der Vorbereitung sind eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen des Projektes. Nur wenn die Pädagogin eine imaginäre Beziehung zum Künstler als Kind entwickeln kann, verbunden mit eigenen Kindheitserinnerungen, spüren es die Kinder und sie lassen sich auf das Übertragungsspiel ein. Ähnliches können wir in jedem guten Theaterrollenspiel oder Handpuppenspiel beobachten. Mit der Übertragung wird der Künstler für die Kinder lebendig. In diesem wahrgenommenen Beziehungsraum erlebt das Kind den Maler im Jetzt.

Durch die Übertragungsebene ermöglicht die Pädagogin den Kindern, eine emotionale Bindung zum Künstler und zu seinen Kunstwerken aufzubauen. Dieses Erleben ist für das Kind immer subjektiv. Hierfür gibt die Pädagogin den Kindern den Raum, dieses Erleben im Tun in der Gemeinschaft und individuell auszudrücken.

Wie das in der Praxis umgesetzt werden kann und welche wunderbaren Energien sich dadurch entwickeln können, erzähle ich ausführlich in meinem neuen pädagogischen Bilder-Buch: »Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt«. (Siehe Kasten, Seite 36). Auf den folgenden Seiten beschreibe ich einige  Szenen aus unserem Chagall-Projekt, welches wir gemeinsam mit den fünfjährigen Kindern entwickelten.

 

Der besondere Lesetipp

Marion Tielemann
Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt
Werkstatt-Kita
Marc Chagall-Kunstprojekte
ISBN 978-3-86892-105-2
Euro 19,90

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Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 04/14 lesen.



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