![]() |
Auf dem Weg zur Inklusion
Menschen mit Behinderungen gehören zu den vulnerabelsten Gruppen. Sie werden besonders häufig bevormundet und ihre Bedürfnisse oft nicht gesehen. Die Inklusionsbotschafterin Katrin Zimmermann setzt sich für diejenigen ein, die am meisten von Diskriminierung betroffen sind. Dafür denkt sie Menschenrechte und Kinderrechte stets zusammen. Wir sprachen mit ihr.
Liebe Katrin Zimmermann, du bist diplomierte Pädagogin und Sprachbildungskraft. Dein Herz schlägt für Kinderrechte. Vor Kurzem bist du aus dem Kitabereich ausgestiegen. Wo bist du eingestiegen?
Wo auch immer ich unterwegs bin, verstehe ich mich als Inklusionsbotschafterin und Barrierencheckerin – aktuell im ZKM, dem Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. Darüber hinaus baue ich derzeit ein Projekt mit dem Fokus auf Spielplätze für alle mit auf.
Du engagierst dich für Menschen mit Behinderungen und Kinder. Sie gehören zu den vulnerabelsten Gruppen und werden besonders häufig bevormundet. Ihre wirklichen Bedürfnisse werden oft nicht gesehen. Mit welchen Folgen?
Nicht gehört zu werden, macht viel mit einem Menschen. Wessen Meinung nicht gehört wird, kann kein Selbstbewusstsein entwickeln. Viele in unserer Gesellschaft denken wahrscheinlich, dass es Menschen mit Behinderungen in den für sie geschaffenen Parallelwelten gut geht und damit ja alles gut sei. Doch das ist zu einfach gedacht! Behinderte Menschen gehören in die Mitte der Gesellschaft – in Arbeitsverhältnisse, in den Sportverein, in die Krabbelgruppe, die Kita und in die Schule. Das ist Inklusion! Fakt ist: Inklusion ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar. Nur Leute, die man sieht, mit denen man die Freizeit- oder Arbeitszeit verbringt, werden berücksichtigt, wenn es z.B. um ein Vorstellungsgespräch auf dem Arbeitsmarkt oder die Einladung zu einer Party geht. Die Verantwortung für die inklusive Gesellschaft liegt dabei nicht bei den jeweiligen Menschen mit Behinderungen, sondern bei uns allen. Mit dieser Aussage betonen Rebecca Maskos und Mareice Kaiser in ihrem Buch »Bist du behindert, oder was?« einen wesentlichen Aspekt: Menschen, die nicht selbst laut sein können, brauchen Menschen, die ihnen als Schallverstärker dienen. Nur Perspektiven, die gehört werden, können Gestaltungskraft bekommen und Schubladendenken beenden.
Hast du dich selbst auch schon mal beim Denken in Schubladen ertappt?
Ja, tatsächlich ist mir das selbst schon passiert – obwohl ja gewöhnlich ich diejenige bin, die in Schubladen gesteckt wird. Es war vor einigen Jahren, während der Organisation eines inklusiven Ferienprogramms. Ein Angebot sollte ein Dark Dinner sein, also ein Essen, das in vollständiger Dunkelheit zu sich genommen wird. Erst zum Ende der Planung ist mir aufgegangen, dass es von Vorteil gewesen wäre, einen Menschen mit Sehbehinderung ins Team zu holen – und natürlich nicht wie so oft ehrenamtlich, sondern angemessen bezahlt. Das Angebot wäre dadurch mit Sicherheit ein anderes geworden und auch besser.
Die Vorstellung, zu wissen, was andere brauchen, ist offenbar tief in uns verinnerlicht. Auch im Umgang mit Kindern gehen wir oft selbstverständlich davon aus, zu wissen, was für sie gut ist, was sie interessiert, welche Umgebung sie brauchen, statt sie selbst danach zu fragen.
Auf jeden Fall! Kinder und alle Menschen sollten über ihre Belange mitreden und mitbestimmen. Dass wir es besser wissen könnten als sie, ist einfach Quatsch. Das Problem ist, dass die meisten von uns selbst von Kindheit an die Erfahrung gemacht haben, dass über eine:n bestimmt wird. In der Familie, in der Kita und in der Schule. »Mit euch, statt über euch« sollte der Standard sein! Das Gute ist, dass sich das schrittweise ändern kann, wenn wir damit anfangen, Kindern auf Augenhöhe zu begegnen, ihre Bedürfnisse und Belange zu sehen und zu berücksichtigen und erst gar keine Schubladen entstehen zu lassen. Ganz wichtig ist dabei, alle Kinder im Blick zu haben und nicht nur die großen, starken und lauten Kinder, sondern gerade auch die etwas leiseren zu ermutigen. Erinnerst du dich an ein Beispiel, wo dir das einmal gelungen ist? Ja, ich erinnere mich an ein Mädchen, das traurig aus dem Rollenspielraum kam und einer Kollegin anvertraute, dass ihre Freunde sagen, es sei eine Heulsuse. Ich hörte die Kollegin antworten: »Ja, dann streng dich an, da-mit die Kinder das nicht mehr zu dir sagen.« Mir reichte das nicht aus, und ich bat das Mädchen zu mir, um es noch etwas mehr ernst zu nehmen und zu unterstützen. Ich sagte zu ihr: »Du bist so ein großes und starkes und mutiges Mädchen, und wie jeder Mensch darfst du mal traurig und mal lustig sein. Jeder ist genau so richtig, wie er ist. Sollen wir das mal deinen Freunden sagen? Möchtest du dafür meine Unterstützung oder möchtest du es allein machen?« Das Mädchen fand meine Idee gut und setzte sie allein um. Sie holte die beiden anderen Kinder zu uns, stellte sich vor sie und sagte: »Die Katrin hat gesagt, ich bin groß und stark und mutig, und ich darf auch mal traurig sein. Können wir jetzt wieder zusammen,spielen?« Die zwei anderen Kinder nickten, und schon zischten die drei gemeinsam wieder ab. Kinder zu sehen und zu stärken, sehe ich als meine Aufgabe. Dazu zähle ich auch, ihnen Unterstützung zu geben, wenn sie selbst nicht mehr weiterkommen.
Katrin Zimmermann ist Diplom-Pädagogin und tätig als Barrierencheckerin – aktuell im ZKM, dem Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe. Sie arbeitet als Moderatorin, Initiatorin für Projekte im Bereich Begegnung und Spielplätze für alle. Zehn Jahre lang war sie in verschiedenen Kitas unter anderem als Sprachbildungskraft sowie in inklusiven Projekten in der Kinder- und Jugendarbeit tätig sowie als freie Mitarbeiterin der Fachstelle Kinderwelten im Institut für den Situationsansatz. Die Bücher »Bist du behindert oder was? Kinder inklusiv stärken und ableismussensibel begleiten« von Rebecca Maskos und Mareice Kaiser und »Als Ela das All eroberte« von Adina Hermann und Raúl Krauthausen gehören für sie in jede Kita.
Kontakt
linkedin.com/in/katrin-zimmermann-6964a1304
Den vollständigen Beitrag und weitere Artikel zum Thema können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 09-10/2025 lesen.



