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Bücher leben, Geschichten teilen, Sprache feiern
In der Kita Pusteblume findet Sprachförderung statt, wohin man schaut. Vom Sprechen und Hören übers Schreiben zum Lesen wird hier jedes Kind in seiner Einzigartigkeit ernst genommen. Leitung Anika Talhoff weiß, dass es in den Händen ihres Teams liegt, Kinder nicht nur für das Lesen an sich zu begeistern, sondern ihnen auch die Liebe für Geschichten mitzugeben.
Ich bin ein Kind der 1970er-Jahre. Meine Eltern waren beide berufstätig, und ich wurde ganztags in der Kita betreut. Das war zur damaligen Zeit weder üblich noch selbstverständlich. Dazu kam, dass Englisch meine Familiensprache war, weil mein Vater Engländer ist. Schon als junges Kind erlebte ich, dass Sprache nicht nur Mittel der Verständigung ist, sondern auch Identität und Zugehörigkeit schafft und eine Brücke zwischen Menschen darstellt. Im Kindergarten fühlte ich mich von Anfang an sehr wohl. Mit den Fachkräften, die wir damals noch Kindergärtnerinnen nannten, hatte ich großes Glück. Sie waren liebevoll, empathisch und stets gute Zuhörerinnen. Besonders die Kitaleitung ist mir bis heute in positiver Erinnerung. Sie strahlte eine authentische Fröhlichkeit aus, handelte gerecht und begegnete Kindern stets mit großer Liebe und Wertschätzung. Ihr Verständnis für unsere individuellen Bedürfnisse war spürbar und beeindruckend.
Wie ein roter Faden
Manchmal denke ich, dass genau diese biografischen Erfahrungen mein Interesse für Sprachbildung im weitesten Sinne in der Kita geprägt und in mir den Impuls geweckt haben, selbst einmal Kinder darin zu unterstützen, sozial starke, emotional unabhängige und selbstbewusste Persönlichkeiten zu werden. Um ihnen Sprache als den wertvollen Schatz, der sie ist, nahezubringen und dabei auch ihre Selbstwirksamkeit erfahrbar zu machen, zieht sich die Sprachförderung wie ein roter Faden durch unsere tägliche Praxis und wird meist von den Kindern selbst initiiert. Zum Beispiel als mich Piet, einer unserer Zweijährigen, in meinem Büro besuchte und mit der Frage »Machst du da?« überraschte. Ich erklärte ihm, dass ich die Portfolios der Kinder mit neuen Geschichten aktualisiere und dafür unseren Fotoapparat nach Fotos für die Portfolios durchforste. Als ich ihm ein Foto zeigte, auf dem er selbst beim Spielen im Sandkasten sitzt, sagte er: »Selber tippen!«, und krabbelte auf meinen Schoß.
Meine Geschichte
Gemeinsam suchten wir die Buchstaben auf der Tastatur, um eine kurze Dokumentation seines Sandkastenerlebnisses festzuhalten. Schritt für Schritt tippte er mit meiner Unterstützung die einzelnen Zeichen und verfolgte gespannt, wie sich auf dem Bildschirm etwas »Eigenes« von ihm – seine Geschichte, sein Text – entwickelte. Dass das Ergebnis für Erwachsene schwer zu entziffern war, spielte dafür keine Rolle. Was zählte, war die Erfahrung, selbst tätig zu werden, etwas »Geschriebenes« zu hinterlassen und zugleich intensive Beziehungszeit mit mir zu erleben. Er war sichtbar stolz auf sein selbst verfasstes Portfolioblatt, und ich war happy über Piets Erfahrung, gesprochene Sprache in eine für ihn neue Form – die Schrift – zu übertragen, auch wenn sie für ihn noch voller Rätsel ist. Entscheidend war dafür nicht die Lesbarkeit, sondern der Prozess: Piet durfte selbst tätig werden. Er bestimmte, was aufgeschrieben wurde, und erfuhr unmittelbar, dass seine Gedanken und Worte Bedeutung haben.
Komm, wir schreiben ein Buch!
Das Beste an solchen Erfahrungen der Selbstwirksamkeit ist zudem, dass sie die Kinder bestärken, sich weiter mit Sprache, Schrift und Symbolen auseinanderzusetzen. Davon, dass Literacy in der Kita nicht erst beim »richtigen« Schreiben oder Vorlesen beginnt, sondern in solch alltäglichen, spontanen Situationen, in denen Kinder erleben, dass ihre Ideen wichtig sind und Ausdruck finden, erzählt auch meine Begegnung mit Solveig Prusko. Sie ist als kreativer Geist, Kinderbuchautorin und Inhaberin des hiesigen Buchladens bekannt. Ich suchte sie während der Covid-19-Pandemie auf, um mit ihr Kisten mit Kinderbüchern zu bestücken, die wir in Absprache mit den Eltern zu bestimmten Zeiten zum Ausleihen vor die Kita stellten. Aus dieser Situation heraus schrieben wir kurze Zeit später unser Buch »Das Maskentrallala«. Es ist die Geschichte von Huse, einer Handpuppe, die halb Hase und halb Huhn ist. Huse hat Angst vor den Masken, die auf einmal alle tragen. Im Verlauf der Geschichte überwindet Huse mithilfe ihrer Mama und einer lieben Buchhändlerin ihre Angst und traut sich auch wieder rauszugehen und unter anderem einen ihrer Lieblingsorte – die Buchhandlung – zu besuchen. Seit damals entwickeln wir regelmäßig gemeinsame Projekte zur Leseförderung. Eins davon ist das Buchprojekt, das Frau Prusko im Rahmen ihrer Ausbildung zur Literaturpädagogin mit unseren Kindern durchführte.
Anika Talhoff ist Theaterpädagogin und Erzieherin. Seit vier Jahren leitet sie die zweigruppige kommunale Kindertagesstätte Pusteblume in der Verbandsgemeinde Altenkirchen-Flammersfeld im Westerwald. Aktuell begleiten hier zehn pädagogische Mitarbeiter:innen 50 Kinder. Literacy-Arbeit bedeutet für sie: Bücher leben, Geschichten teilen, Sprache feiern – und dabei jedes Kind in seiner Einzigartigkeit ernst nehmen. Ihr Buch Das Maskentrallala kann z.B. auf Amazon bestellt und der fünfminütige Film dazu auf YouTube, unter Eingabe der Stichworte »Das Maskentrallala. Wie Huse im Buchladen die Angst vor den Masken verlor«, angeschaut werden.
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